Allgemeine Form der Eulerschen Differenzialgleichung
Eine Eulersche Differenzialgleichung ist eine spezielle
lineare Differenzialgleichung mit variablen Koeffizienten. Ihre
allgemeine Form
kann unter Verwendung des Summensymbols auch in der Form
aufgeschrieben werden.
Grundsätzlich gelten alle Aussagen, die für die
linearen Differenzialgleichungen
(mit beliebigen Koeffizienten vor den Ableitungen)
allgemein gelten. Sie werden hier noch einmal zusammengestellt:
Die allgemeine Lösung einer linearen Differenzialgleichung
mit konstanten Koeffizienten
kann als Summe der allgemeinen Lösung
yhom
der zugehörigen homogenen Differenzialgleichung
und einer beliebigen Partikulärlösung
ypart
der inhomogenen Differenzialgleichung zusammengesetzt werden:
Die Lösung der homogenen linearen Differenzialgleichung n-ter Ordnung mit konstanten
Koeffizienten
ist die Linearkombinationen von genau
n
Partikulärlösungen. Diese müssen
- die Differenzialgleichung erfüllen und
- linear unabhängig sein (keine der Funktionen
darf sich als Linearkombination der anderen Funktionen darstellen lassen).
Der wesentliche Vorteil der Eulerschen Differenzialgleichungen
besteht darin, dass es
für die Suche nach Partikulärlösungen, die die genannten Kriterien erfüllen,
(wie für die
linearen Differenzialgleichungen mit
konstanten Koeffizienten) einen zuverlässigen Algorithmus gibt.
Es muss außerdem eine beliebige (wenn auch noch so simple) Lösung für die inhomogene
Differenzialgleichung gefunden werden. Dafür gibt es leider kein
allgemeingültiges Rezept, aber für die praktisch wichtigsten Störglieder
sind Ansätze bekannt, die zuverlässig zum Ziel führen.
Dass die Koeffizienten, die vor den Ableitungen der gesuchten
Funktion stehen, Ausdrücke mit genau der gleichen Potenz wie der Grad
der Ableitung sind, ist kein Zufall (die Eulersche Differenzialgleichung
ist durchaus keine "akademische Spezialkonstruktion" der Mathematiker, weil man
für sie geschlossene
Lösungen findet). Wenn (wie für Probleme der Technischen Mechanik typisch)
nach dimensionsbehafteten Größen abgeleitet wird, dann ändert sich die
Dimension des Ausdrucks (aus einem y-Wert mit der
Dimension N/mm2 wird bei Ableitung nach der mit der
Dimension mm behafteten Variablen x ein
y' mit der Dimension N/mm3, siehe
nachfolgendes Beispiel).
Da aber die Terme der Differenzialgleichung nur addiert werden können,
wenn jeder Summand die gleiche Dimension hat, kann dies z. B. durch
einen entsprechenden Faktor vor der Ableitung ausgeglichen werden.
Beispiel: Für die Berechnung der
Radialspannungen σr
(Dimension z. B.: N/mm2) in einer mit der
Winkelgeschwindigkeit ω rotierenden
Kreisringscheibe wird im Kapitel "Rotationssysmmetrische Modelle" die
Differenzialgleichung hergeleitet:
(
ν ist die Querkontraktionszahl des Materials,
ρ seine Dichte,
die Koordinate
r, die z. B. in
mm gemessen wird, beginnt am Scheibenmittelpunkt).
Dies ist eine Eulersche Differenzialgleichung.
Lösung der homogenen Eulerschen Differenzialgleichung
Für die homogene
Eulersche Differenzialgleichung
gibt es eine zuverlässig funktionierende Strategie,
n
linear unabhängige Partikulärlösungen (und damit die allgemeine Lösung
der homogenen Differenzialgleichung) zu finden. Mit der Substitution
geht die Eulersche Differenzialgleichung in eine lineare
Differenzialgleichung mit konstanten Koeffizienten über. Dass dies funktioniert,
wird schon beim Umschreiben der ersten beiden Ableitungen nach
x in Ableitungen nach
t
erkennbar (mit Strichen werden Ableitungen nach
x und mit Punkten Ableitungen nach
t gekennzeichnet):
Die Faktoren bei den Substitutionen der Ableitungen lassen
die variablen Koeffizienten verschwinden, wie man an der
Substitution für eine Eulersche Differenzialgleichung 2. Ordnung sieht:
Auch für die höheren Ableitungen lassen sich die Transformationsformeln
herleiten:
Damit ist die Strategie klar:
Die homogene Eulersche Differenzialgleichung
geht mit der
in eine homogene lineare Differenzialgleichung mit konstanten
Koeffizienten über. Für die Transformation der Ableitungen
stehen die oben angegebenen Formeln zur Verfügung.
Die transformierte Differenzialgleichung kann nach den auf der Seite
"Lineare Differenzialgleichungen mit konstanten Koeffizienten"
ausführlich beschriebenen Regeln gelöst werden. Man gewinnt ein Fundamentalsystem
für die transformierte Differenzialgleichung, das entsprechend
rücktransformiert werden kann.
In der Technischen Mechanik treten Eulersche Differenzialgleichungen
bis zur 4. Ordnung auf. Unter Verwendung der oben genannten Transformation
und der Formeln für die Ableitungen wird aus einer
Eulerschen Differenzialgleichung 4. Ordnung
die lineare Differenzialgleichung 4. Ordnung mit konstanten Koeffizienten
Eine Eulersche Differenzialgleichung 4. Ordnung wird auf der
Seite "Rotationssysmmetrische Kreis- und Kreisringplatten"
vorgestellt. Hier soll die Strategie an einem einfacheren
Beispiel demonstriert werden.
Beispiel: Für die eingangs bereits
vorgestellte Eulersche Differenzialgleichung 2. Ordnung
für die Spannungsberechnung in einer rotierenden
Kreisringscheibe
soll das Fundamentalsystem für die zugehörige homogene Differenzalgleichung
berechnet werden (Striche kennzeichnen hier die Ableitungen nach
r). Die Differenzialgleichung hat die Koeffizienten
a2 = 1,
a1 = 3 und
a0 = 0,
so dass die Transformation
r = e t
auf folgende Differenzialgleichung mit konstanten Koeffizienten
führt:
Entsprechend der Strategie für die
homogenen Differenzialgleichungen mit konstanten Koeffizienten
wird mit einem Ansatz
(
σr = e λ t )
nach Partikulärlösungen für die homogene Differenzialgleichung gesucht.
Man beachte, dass dieser Ansatz nichts mit der ähnlich aussehenden
bereits durchgeführten Transformation zu tun hat. Einsetzen des Ansatzes in die
Differenzialgleichung mit konstanten Koeffizienten liefert über die
charakteristische Gleichung
die beiden
λ-Werte
λ1 = 0 und
λ2 = −2, mit
denen das Fundamentalsystem und damit die Lösung für die
transformierte homogene Differenzialgleichung
aufgeschrieben werden kann:
Die Rücksubstitution (
e t = r)
liefert die Lösung der homogenen Eulerschen Differenzialgleichung
Patikulärlösung für die inhomogene Eulersche Differenzialgleichung
Für die Suche nach einer Partikulärlösung für die
inhomogene Eulersche Differenzialgleichung
kann kein allgemeingültiges Rezept empfohlen werden. Für die
Eulerschen Differenzialgleichungen, die in der Technischen
Mechanik auftauchen, sind aber recht einfache Strategien
bekannt, um zu einer Partikulärlösung zu kommen.
Für den wichtigsten Anwendungsfall einer
Eulersche Differenzialgleichung 4. Ordnung wird auf der
Seite "Rotationssysmmetrische Kreis- und Kreisringplatten"
eine besonders elegante Methode vorgestellt.
Hier soll eine einfache Strategie an dem bereits behandelten
Beispiel demonstriert werden.
Beispiel: Für die
Differenzialgleichung
für die Berechnung der Radialspannungen in einer rotierenden Scheibe
wurde die Lösung der zugehörigen homogenen Differenzialgleichung
mittels Transformation der unabhängigen Variablen
r = e t bereits gefunden.
Man kann nun die Transformation auf das Störglied erweitern
und erhält mit der inhomogenen lineare Differenzialgleichung
mit konstanten Koeffizienten
die Möglichkeit, den gesamten Katalog zu nutzen, der für die
Partikulärlösungssuche für diesen Differenzialgleichungstyp
verfügbar ist. In der entsprechenden
Tabelle wird
für dieses Störglied der Ansatz
empfohlen. Einsetzen in die transformierte inhomogene Differenzialgleichung
liefert den Ansatzparameter:
Damit ist die Partikulärlösung für die Differenzialgleichung mit
konstanten Koeffizienten bekannt, die nach Rücktransformation
die gesuchte Partikulärlösung der inhomogenen Eulerschen
Differenzialgleichung ist:
Mit der bereits oben berechneten Lösung für die homogene Eulersche
Differenzialgleichung kann nun die allgemeine Lösung der
Differenzialgleichung für die Spannungsberechnung in einer rotierenden
Kreisringscheibe aufgeschrieben werden:
Die beiden Integrationskonstanten müssen für ein spezielles Problem
an zwei Randbedingungen angepasst werden, um die spzielle
Lösung zu finden. Eine solche Aufgabe wird im
Kapitel "Rotationssysmmetrische Modelle" gelöst.